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Der gesellschaftliche Wert des Ehegattensplittings

Die Glückwünsche zur Verlobung einer Oberärztin und eines Krankenpflegers wären künftig mit einer Warnung zu versehen: Diese Ehe könnte beim Fiskus teurer werden. Denn wenn sich die Gegner des Ehegattensplittings durchsetzen und dieses abgeschafft wird, erhöht sich die Steuerlast von Paaren mit großen Einkommensunterschieden um mehrere Tausend Euro im Jahr. SPD-Chef Klingbeil schlägt die Veränderung für neu geschlossene Ehen vor.

Diese Zusatzbelastung von Ehen und Lebenspartnerschaften, die über Bildungs- und Einkommensgrenzen hinweg geschlossen werden, birgt einen blinden Fleck der gegenwärtigen Diskussionen über das Ehegattensplitting . Sowohl dessen Gegner bei Sozialdemokraten, Grünen und Linken als auch dessen Befürworter bei FDP und CDU/CSU widmen sich fast ausschließlich den Rollenmustern in Beziehungen. Also der Frage, wie Frauen und Männer ihre Erwerbstätigkeit und damit ihren Verdienst vor allem in der Zeit der Kinderbetreuung aufteilen und wie die Finanzämter damit umgehen sollen.

Doch diese Frage überdeckt, dass die Abschaffung des Splittings diejenigen Paare belasten würde, die ebenfalls mit einem Rollenmuster zu tun haben: nämlich mit dem, sich bei der Partnersuche nur in der eigenen Einkommens- und Bildungsschicht zu bewegen. Dieses Muster nach dem Motto “Gleich und gleich gesellt sich gern” wird in der Soziologie als “Assortative Mating” bezeichnet, als Partnerwahl nach Maßgabe besonders großer Ähnlichkeit, zugespitzt: Ärztin heiratet Arzt, Pfleger heiratet Pflegerin.

Wenn sich hierüber aber Paare wie die Oberärztin und der Krankenpfleger hinwegsetzen, müssten sie bei einer Abschaffung des Splittings mehr zahlen. Bei diesem geht der Staat davon aus, dass die Eheleute oder Lebenspartner ihre beiden Einkommen in einen Topf werfen und alles teilen. Entsprechend werden beim Splitting bei gemeinsamer Veranlagung die beiden zu versteuernden Einkommen ebenfalls addiert und durch zwei geteilt. Diese beiden rechnerisch identischen Hälften werden dann jeweils besteuert, und wegen der Progression sinkt dadurch die Steuerlast auf das heruntergerechnete Oberärztin-Einkommen stärker, als sie bei dem heraufgerechneten Krankenpfleger-Einkommen ihres Ehemanns steigt. Daher ist mit dem Splitting die gemeinsame Steuerlast der beiden niedriger, als sie es bei Individualbesteuerung der jeweiligen Einkommen wäre.

Somit nutzt das Splitting den schichtenübergreifenden Ehen und setzt einen steuerlichen Gegenakzent zum “Assortative Mating”. Darauf hat der Wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministeriums 2017 in einem Gutachten über “Einkommensungleichheit und soziale Mobilität” hingewiesen. Freilich nur in einer Fußnote. “Das Ehegattensplitting”, so heißt es dort, “wirkt im Vergleich zu einer Individualbesteuerung, wie sie in vielen anderen Industrieländern üblich ist, dem ‘Assortative Mating’ entgegen.” Dieser Hinweis ist gesellschaftlich relevant. Denn die Verpartnerung der Ähnlichen nimmt in der gesamten westlichen Welt zu.

Für Deutschland stellte schon 2011 das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung fest, dass vor allem akademisch Gebildete vermehrt untereinander heiraten. Hatte 1996 der Anteil von Ehen, in denen beide Partner eine hohe Bildung hatten, bei 9,5 Prozent gelegen, so betrug er 2010 schon 13,2 Prozent. Langzeit-Studien aus den USA ergaben, dass seit 1960 der Anteil der Ehen zwischen Partnern mit deutlich unterschiedlichem Bildungsniveau stark abgenommen hat und der Anteil der Ehen von ungefähr gleich Gebildeten vor allem im akademischen Bereich deutlich angewachsen ist.

Zahlreiche Wissenschaftler und auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sehen hierin einen Faktor, der die soziale Segregation verhärtet. Denn die Schichten werden kaum noch durchs Heiraten “nach oben” oder “nach unten” durchmischt. Internet-Partnerschaftsbörsen scheinen diesen Trend noch zu verstärken. Zwar ist dies bei Weitem nicht der einzige Grund sozialer Ungleichheit, und die Einzelnen denken bei der Partnersuche nicht soziologisch. Vielmehr liegt das “Assortative Mating” vor allem an den großen Fortschritten bei der Ausbildung von Frauen: Die Zeit des Studiums ist die Zeit einer längerfristig angelegten Partnerwahl, und seitdem Männer und Frauen an Universitäten gleich vertreten sind, finden sie dort immer öfter zusammen.

Zudem werden die Erwartungen an den gleichberechtigten geistigen Austausch auf Augenhöhe in Partnerschaften allgemein größer, was die sogenannte Homogamie ebenfalls befördert. So kehrt gleichsam hinter dem Rücken der Menschen und ohne deren expliziten Willen eine Tendenz zu etwas zurück, was früher “standesbewusstes Heiraten” hieß.

Daher ließe sich über das Ehegattensplitting mit Blick auf die gesellschaftliche Sozialstruktur diskutieren: Es hilft denen, die über die sozialen Schichten hinweg heiraten, kann also gesellschaftliche Durchmischung befördern. Tatsächlich aber wird übers Splitting nur mit Blick auf die individuelle Partnerschaftsstruktur debattiert. Denn es bietet einen steuerlichen Anreiz dafür, dass innerhalb einer Ehe oder Partnerschaft die eine Person – fast immer die Frau – wegen der Kinderbetreuung wenig oder gar nicht arbeitet, während in der Regel der Mann das Geld verdient. Dieser Effekt war in den 50er-Jahren, bei der Einführung des Splittings, ausdrücklich erwünscht. Als 1958 der Bundestag darüber debattierte, sagte die CDU-Abgeordnete Julie Rösch: “Vielleicht kann diese neue Art der Ehegattenbesteuerung ein wenig dazu helfen, dass die eine oder andere berufstätige Mutter die außerhäusliche Berufsarbeit aufgibt und erkennt, dass Ehefrau- und Muttersein nicht nur im Sinne der Steuergesetze, sondern auch in Wirklichkeit ein das Leben voll ausfüllender Beruf ist.”

Heute hingegen wird argumentiert, dass die durchs Splitting beförderte Aufgabenteilung die Frauen an der beruflichen Entfaltung ihrer Potenziale hindere, ihnen beim Wiedereinstieg nach den Kinderbetreuungsjahren viele Karriereoptionen versperre und somit nach einer Scheidung den sozialen Abstieg beschere. Mit der Abschaffung des Splittings, sagte SPD-Chef Lars Klingbeil kürzlich dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, “würden wir dem antiquierten Steuermodell, das die klassische Rollenverteilung zwischen Mann und Frau begünstigt, ein Ende setzen”. Der Sozialdemokrat sagte aber nichts über eine antiquierte Schichtenaufteilung.

Quelle

Matthias Kamann, DIE WELT

4 Min. Lesedauer

vor 2 Jahren veröffentlicht